Pferderecht


Beitrag vom 17.10.2022

Rittigkeitsprobleme als Tiermangel

BGH, Urteil vom 27.05.2020, VIII ZR 315/18

 

 

Zeigt das Röntgenbild den Kissing Spine-Befund, klagen die Käufer meist durch alle Instanzen. Beim BGH weiß man aber nicht nur, dass ein Pferd kein Auto ist, man hat es in der Vergangenheit auch in Urteile hingeschrieben (z.B. in RA 2018, 1 ff.). Es gibt offenbar Menschen, die nicht nur von anderen Menschen nicht gemocht werden, sondern auch von ihren Pferden. Im BGH-Urteil vom 27.05.2020, VIII ZR 315/18, bestätigt der BGH zum einen seine bisherige Rechtsprechung: Ein Kissing Spine-Befund eines ansonsten klinisch unauffälligen Pferdes ist kein Mangel. Das Tier muss zusätzlich lahmen, Schmerzen zeigen oder in der Bewegung eingeschränkt sein, bevor § 434 I 2 Nr. BGB greift. Der VIII. Zivilsenat des BGH geht noch weiter: Rittigkeitsprobleme allein sind per se weder ein Tiermangel noch eine Mangelerscheinung, welche die Vermutungswirkung des § 477 BGB auslöst. Mit einem Auto, das nicht anspringt, kann man ein Pferd eben nicht vergleichen. Hat das Pferd keine Lust, kann das auch daran liegen, dass es den Menschen, der aufsitzen will, nicht mag, ihm nicht traut, ihn für nicht würdig erachtet. Rittigkeitsprobleme sind ein natürliches Risiko (BGH, VIII ZR 2/19).

 

 

Im besprechenden Urteil war die Klägerin Verbraucherin und erwarb von einem Unternehmer im Oktober 2013 einen fünf Jahre alten Wallach für 31.733,19 EUR zur Nutzung als Sportpferd. In der Folgezeit bildete die Tochter der Klägerin, die als Pferdewirtin und -ausbilderin tätig ist, das Pferd, welches bereits erfolgreich an Turnieren teilgenommen hatte, weiter aus, um es auf den Leistungsstand der Klasse L zu bringen. Im Mai 2014 nahm die Tochter der Klägerin an einer Dressurprüfung der Klasse L teil. Die Klägerin focht im Dezember 2014 den Kaufvertrag unter Berufung auf arglistige Täuschung an. Sie berief sich auf "gravierende Rittigkeitsprobleme", insbesondere habe das Pferd "die Widersetzlichkeit des Blockens beziehungsweise Blockierens" gezeigt. Im März 2015 erklärte die Klägerin den Rücktritt vom Kaufvertrag. Sie behauptet im Wesentlichen, die gezeigten "Rittigkeitsmängel" beruhten auf verengten Dornfortsätzen der Wirbelsäule (Kissing Spines). Es stand fest, dass das Pferd ein Kissing Spines-Syndrom aufwies, jedoch klinisch unauffällig war. Die Klägerin verlangte die Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Pferdes.

 

Das Gericht wies die Klage ab und entschied, dass der Verkäufer eines Tieres -sofern eine anderslautende Beschaffenheitsvereinbarung nicht getroffen wird- (lediglich) dafür einzustehen hat, dass es bei Gefahrübergang nicht krank ist und sich auch nicht in einem (ebenfalls vertragswidrigen) Zustand befindet, aufgrund dessen bereits die Sicherheit oder zumindest die hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass es alsbald erkranken wird und infolgedessen für die gewöhnliche (oder die vertraglich vorausgesetzte) Verwendung nicht mehr einsetzbar wäre (Bestätigung von BGH, Urteile vom 18.10.2017 - VIII ZR 32/16, NJW 2018, S. 150 Rn. 26; vom 30.10.2019 - VIII ZR 69/18, NJW 2020, S. 389 Rn. 25; jeweils mwN.). (Rn. 25)

 

Weiter führte das Gericht aus: Die Eignung eines klinisch unauffälligen Pferdes für die gewöhnliche oder die vertraglich vorausgesetzte Verwendung als Reitpferd nicht schon dadurch beeinträchtigt werde, dass aufgrund von Abweichungen von der "physiologischen Norm" eine (lediglich) geringe Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass es zukünftig klinische Symptome entwickeln wird, die seiner Verwendung als Reitpferd entgegenstehen (Bestätigung von BGH, Urteile vom 07.02.2007 - VIII ZR 266/06, NJW 2007, S. 1351 Rn. 14; vom 18.10.2017 - VIII ZR 32/16, aaO. Rn. 24 und vom 30.10.2019 - VIII ZR 69/18, aaO. Rn. 26). (Rn. 26)

 

Die oben genannten Grundsätze gelten laut Gericht nicht nur für physiologische Abweichungen vom Idealzustand, sondern auch für ein vom Idealzustand abweichendes Verhalten, wie etwa sogenannte "Rittigkeitsprobleme", wenn das Pferd nicht oder nicht optimal mit dem Reiter harmoniert und Widersetzlichkeit zeigt. (Rn. 28)

 

Entspricht die "Rittigkeit" eines Pferdes nicht den Vorstellungen des Reiters, realisiert sich für den Käufer (wenn nicht klinische Auswirkungen hinzukommen) daher grundsätzlich lediglich der Umstand, dass es sich bei dem erworbenen Pferd um ein Lebewesen handelt, das -anders als Sachen- mit individuellen Anlagen ausgestattet und dementsprechend mit sich daraus ergebenden unterschiedlichen Risiken behaftet ist. (Rn. 41)

 

Fazit:

Das Urteil des BGH bestätigt die gefestigte Rechtsprechung, dass man im kaufrechtlichen Mängelrecht bei Lebewesen und unbelebten Gegenständen unterschiedliche Maßstäbe anlegen muss. Dies wirkt sich bei Vorliegen des Kissing Spine-Befundes aus, denn ohne klinische Symptome ist ein Mangel zunächst nicht anzunehmen. Zum anderen bringt das Urteil wichtige Klarstellungen zu den Anforderungen, die an Käufer zum Vortrag der Mangelerscheinung i.S.d. § 477 BGB gestellt werden. Die bloße Widersetzlichkeit eines Pferdes begründet diesen Vortrag nicht.

 

 

Quelle: RA 08/2020, S. 400 ff.